Matrons - Szene 4
Aktualisiert: 10. Mai 2019
»Wo setzen wir uns hin? Wieder an den Hauptdurchgang zur Bar, wie neulich?«
»Au ja, gern«, rief Sam. »Da können wir alles gut sehen. Okay für dich, Ben?«
Ben erinnerte sich, dass dieser Platz ihm letztes Mal überaus gut gedient hatte. »Klaro, los geht’s!«
Die meisten dick gepolsterten Sitzgruppen im Luna schmiegten sich direkt an die Tanzfläche, die eine Hälfte des u-förmigen Clubs komplett ausfüllte. Drei Stück standen aber auch hier an der Schmalseite des Raumes. Wer zur wesentlich ruhigeren Bar auf der anderen Seite der Zwischenwand wollte, musste hier vorbei. Wer zum Klo wollte, ebenso.
Als sie alle saßen und der Club sich allmählich füllte, zählte Ben unauffällig durch. Circa fünfzig Frauen standen und saßen im Halbdunkel verstreut, die Tanzfläche würde sich wohl erst in zwei Stunden richtig füllen. Und dazwischen? Exakt zwei Männer, die er erkennen konnte.
»Schau dir den hier an«, kicherte Sam, die mit einem Tablett voller Drinks angestiefelt kam. »Schon alle Schnecken abgecheckt? Dir fallen ja gleich die Augen aus dem Kopf, mach mal langsamer!«
Er sah sie nicht an. »Genau genommen zähle ich die Konkurrenz.«
Miriam setzte das Tablett ab und ließ die Augen kurz durch den Raum streifen. »Ich seh keinen Mann außer dir«, kicherte sie. »Das kann ja nur ein erfolgreicher Abend für dich werden!«
Zwei Stunden und drei Gläser später schlich sich in Bens Kopf endlich das Gefühl ein, dass er sich für einen Freitagabend erhofft hatte. Während Sam die anderen Mädels abwechselnd mit sich auf die Tanzfläche zog und tanzte, bis sie Bäche schwitzte, lehnte er sich weiter und weiter in den bequemen Polstern zurück und genoss das erste Bier des Abends. Momentan saß nur Miriam bei ihm und leerte keuchend ein kleines Wasserglas. Plötzlich schallte der Sommerhit des Vorjahres aus den Boxen und Miriam sprang wieder auf.
»Oh, auf den Song habe ich gewartet!«, rief sie aufgeregt. »Kommst du mit?«
»Lass mal, ich schaue euch lieber nur zu«, lächelte er.
»Manche Dinge ändern sich nie«, lächelte sie, stand kopfschüttelnd auf und eilte zu Sam, die gerade fleißig von zwei äußerst hübschen Frauen angetanzt wurde.
Als die Frauenschutzgesetze damals durch waren, hatte der rechte Flügel der Politik selbstverständlich den Untergang des Abendlandes verkündet. Und natürlich auch ins Feld geführt, dass auf Deutschlands Partymeilen jetzt eben vermehrt Frauen mit Frauen ins Bett steigen würden. Angebot und Nachfrage quasi. Ben erinnerte sich nur zu gut, dass er laut aufgelacht hatte, als die News durch seinen Feed gelaufen waren. Dann hatte er ein paar Tage darüber nachgedacht, ob sich eine Disko nicht schon immer nach den Prinzipien von Angebot und Nachfrage gerichtet hatte. Ob es wirklich so kommen würde. Ob man menschliches Sozial- und Sexualverhalten wirklich mit liberalen Marktregeln erklären konnte. Und schlussendlich hatte er sich die Tatsachen auf der Straße einfach selbst angesehen. Sein Fazit? Frauen trauten sich jetzt. Nicht mehr, aber vor allem nicht weniger.
Sie trauten sich, etwas von sich zu zeigen, weil die Chancen besser standen, die Sache heil zu überstehen. Weil die Wahrscheinlichkeit, dass ein Nein gehört und akzeptiert wurde, um viele Dutzend Prozentpunkte in die Höhe geschossen war. Und vor allem, weil aus dem Spaß auf einer Tanzfläche grundsätzlich erst einmal keinerlei Ansprüche entstanden. Es gab keinen ungeschriebenen, biologischen Vertrag mehr, dass das Weibchen nur sein Federkleid zu schütteln brauchte und sofort vier Vögel Spalier standen, die ein Nest mit ihr beziehen wollten. Die Zeit der Neandertaler war endgültig vorbei, und es fiel Ben ziemlich schwer, diesen Umstand zu betrauern, selbst wenn die Gesetze auch ihn einschränkten.
Seine Mädels, nein seine Matronen, kamen angehechelt und leerten ihre Gläser. »Also ich brauche dringend noch was zu Trinken!«, rief Miriam. »Wer kommt mit zur Bar?«
Ben hob sein Glas, prostete ihr zu, trank aus und stand auf. »Let’s go.«