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Matrons - Szene 2

Aktualisiert: 10. Mai 2019


Mit dem Taxi waren es nur etwa zehn Minuten von Bens Agentur in der Hamburger Speicherstadt bis zu dem neuen Club, der erst nach der Gesetzesänderung im letzten Jahr eröffnet hatte. Der Fahrer hatte entsprechend die Augen verdreht, als Miriam ihm das »Luna« als Zieladresse genannt hatte.

»Beziehungsverhältnis?«, schnauzte er in den Rückspiegel.

»Ben ist mein bester Freund und ich bin über 18 Jahre alt. Wir sind auf direktem Weg zum Rest meiner Matronengruppe. Möchten Sie meinen Ausweis sehen?«, fragte sie eisig.

»Kann der auch schnacken oder ist der stumm?«, ätzte der Fahrer.

Miriam zog ihren Lieblingsjoker. »Wir bezahlen Sie nicht fürs Schnacken, sondern fürs Fahren. Selbiges sollten Sie jetzt besser tun, sonst finden wir sicherlich auch ein autonomes Taxi.«

»Is ja gut«, brummelte der Fahrer. In früheren Jahren hatte Ben unzählige Male miterlebt, wie die Frauen in seinem Umfeld – und manchmal sogar seine jung gebliebene Mutter – von dieser Sorte Mann betitelt worden war, wenn sie es wagten, die Stimme zu erheben oder gar schnippisch zu werden. »Herzchen«, »Püppchen« oder »Mäuschen« waren da noch die ganz harmlosen Namen. Immerhin: Das traute sich seit Sommer letzten Jahres fast keiner mehr.

Weil der Fahrer nun wohl die Lust verloren hatte, zu frotzeln, schaltete er das Radio ein. Er schaltete von den Spätnachrichten sofort zu Musik.

Ben hatte aus dem Fenster in die Nacht gestarrt, wandte jetzt aber den Kopf um. »Bitte schalten Sie zurück, ich hatte heute noch keine Gelegenheit, Nachrichten zu hören.«

»Es spricht«, murmelte der Fahrer und schaltete zurück.


»Im Vereinigten Königreich mehren sich die Stimmen für einen Wiedereintritt in die EU«, verkündete die Nachrichtensprecherin. »Treibende Kraft für den Austritt 2019 war ein Wahlversprechen gewesen, dass der EU-Austritt massiv Kosten sparen würde. Dieses Versprechen hat sich auch heute, fünf Jahre später, in keiner Weise bewahrheitet. Eher das Gegenteil ist eingetreten: Das vereinigte Königreich sitzt Schätzungen des dortigen Rechnungshofes NAO zufolge auf Schulden von über dreieinhalb Billionen Pfund.« Papier raschelte aus den Lautsprechern, die Sprecherin pausierte. »Zurück nach Deutschland«, sagte sie dann. »Am Landgericht Berlin wurde heute das Urteil im sogenannten Tiergarten-Fall verkündet. Der mutmaßliche Vergewaltiger einer 24-jährigen Krankenschwester aus Charlottenburg wurde in allen Anklagepunkten schuldig gesprochen und zu elf Jahren Haft ohne Bewährung verurteilt. Der Täter hatte sich von seiner Matronengruppe getrennt und das junge Opfer in den Tiergarten gelockt, wo es zu der Tat kam. Die mit angeklagten Matronen erhielten Bewährungsstrafen von je zwei Jahren, weil sie nicht glaubhaft nachweisen konnten, mit dem Täter länger bekannt gewesen zu sein. Der Schuldspruch wird von Frauenvereinigungen in ganz Deutschland als ›faires und transparentes Grundsatz-Urteil‹ gefeiert. Der Fall aus dem Berliner Tiergarten hatte letzten Sommer Berühmtheit erlangt, weil diese Vergewaltigung den ersten gemeldeten Fall von schwerer sexueller Gewalt gegen Frauen darstellt, seit das sogenannte Matronen-Gesetz letztes Jahr verabschiedet wurde. Ebenfalls heute treten neue Ergänzungen dieses Gesetzes in Kraft. Laut Matronen-Gesetz dürfen sich, wie bisher, ab acht Uhr abends Männer und Jungen über 13 Jahren nicht in der Öffentlichkeit bewegen, wenn sie nicht von Mutter, Ehefrau oder einer erwachsenen Tochter begleitet werden. Männer ohne Familie, die nicht in einem der Ausnahmeberufe arbeiten, müssen sich nun einer Gruppe von mindestens zwei ihm bekannten Frauen anschließen. Es ist nicht mehr zulässig, dass die begleitenden Frauen Fremde sind. Die heutige Gesetzesänderung enthält außerdem eine Klausel zur erweiterten Haftung der Matronengruppe für ihren begleitenden Mann. Das waren die Nachrichten aus dem Hauptstadtstudio, am Mikrofon Ulrike Mattisch.«



»Die werden uns auch noch das Pinkeln verbieten«, knurrte der Taxifahrer.

Miriam verdrehte kurz die Augen, blickte aber sofort wieder in ihr Handy, über dessen Bildschirm Chatnachrichten flitzten.

»Na ja«, kicherte Ben dunkel, »Pinkeln in der Öffentlichkeit heißt Wildpinkeln und ist verboten.«

Der Taxifahrer gab es endgültig auf, in Ben einen Mitstreiter zu suchen, und hielt am Straßenrand. »Bittesehr, die Dame«, sagte er gekotzt freundlich. »Das Luna. Viel Spaß heute Abend! Das macht Sechzehnfuffzig.«

Ben reichte einen Zwanzig-Euro-Schein nach vorne, während Miriam ausstieg und die anderen Mädels heranwinkte.

»Ach, zahlen darfste? Guck an!«, lachte der Fahrer.

»Ja, weil meine beste Freundin unser Döner letzte Woche bezahlt hat. Wie das bei normalen Menschen halt so ist.«

»Es ist doch nichts mehr normal seit diesem Scheiß-Gesetz.«

Ben überlegte kurz. »Eine Taxi-Fahrt ist ganz schön günstig in letzter Zeit, wie kommt das?«

»Na ja«, brummelte der Mann. »Die Versicherungsgesellschaften mussten die Tarife verbilligen, weil uns nachts nicht mehr so oft die Autos verbeult und vollgekotzt werden. Der komplette Nacht-Tarif ist weggefallen, sagt mein Chef.«

»Sind Sie seit letztem Jahr mal überfallen worden?«, hakte Ben nach.

»Nee.«

»Dann würde ich mich an ihrer Stelle mit dem Gesetz anfreunden, das ihren Job so viel sicherer gemacht hat.« Mit diesen Worten stieg Ben aus und begrüßte Claudi, Sam und Nicki, die lachend mit Miriam auf dem Gehweg standen.


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